Memoiren, gefunden in der Badewanne

Memoiren, gefunden in der Badewanne (original: „Pamiętnik znaleziony w wannie“) ist ein Science-Fiction-Roman von Stanisław Lem. Er erschien 1974 in Deutschland und zeigt deutliche Züge der politischen Satire. Lem selbst sah den Ursprung des Buches „...in einer Version des Staates, die der Stalinismus als wohl historisch einmaligen Formationstyp geschaffen hat“,[1] vertrat aber die Ansicht, dass das Buch „…über die Zeitgebundenheit der politischen Satire hinausgeht. Wir finden hier die Totalisierung des Begriffs der Intentionalität. Das wird mit spürbarer, ja geradezu gespenstischer Konsequenz durchgeführt und ergibt überraschende Effekte.“[2]

Der größte Teil des Buchs erzählt die Geschichte des Protagonisten in einer meist nur das „Gebäude“ genannten Spionagezentrale. Das Verhältnis zwischen allen Akteuren und Abteilungen im Gebäude ist von massivem Misstrauen und Paranoia geprägt. Die permanente gegenseitige Überwachung, die teils ins Absurde reichende Überinterpretation selbst kleinster Gesten und Äußerungen der Akteure untereinander sowie die Bedrohung durch ein „Antigebäude“, dessen tatsächliche Existenz indessen nie klar belegt wird, erinnern sowohl an Orwells „1984“ als auch die bürokratischen Albträume Kafkas. Jedoch verwehrt sich Lem gegen beide Parallelen. In den Memoiren würde eben kein perfekter, konsequenter Totalitarismus beschrieben, sondern eine Wirklichkeit, die zwar „bedeutungslos und voller Schlamperei“ war, deren chaotische Beliebigkeit aber als Perfektion und Zeichen der Allwissenheit des Apparats gedeutet wurde, die indessen nicht zu begreifen sei.[1]

Handlung

Der erste Teil des Buchs erklärt, wie die eigentlichen „Memoiren“ gefunden wurden: Die „Aufzeichnungen eines Menschen des Neogen“ wurden als eines der wenigen Relikte ihrer Zeit unter zwei menschlichen Skeletten in einer Badewanne gefunden, was zu ihrer Benennung führte. Entdeckt wurden sie bei Ausgrabungen in einem verschütteten Gebäude. Die offenkundigen Anspielungen in der Einleitung haben dabei nicht etwa den Stalinismus, sondern die modernen USA zum Hintergrund: das „Gebäude“ wurde als das „dritte Pentagon“ identifiziert, in dem Priester vom „Kult der Gottheit Kap-Eh-Thaal“ den Mythos des Antigebäudes erschufen. Die geschichtliche Epoche der Memoiren wird als kaum erforscht dargestellt, da eine „Papyrolyse“ genannte Katastrophe unbekannter Ursache zur Vernichtung der meisten historischen Quellen der Epoche (und zum Zusammenbruch der Kultur) führte, indem alle aus Papier bestehenden Aufzeichnungen und Akten zerfielen.

Die eigentliche Handlung beginnt mit der Ankunft des Protagonisten im „Gebäude“. Er scheitert bereits beim Auffinden eines Auftraggebers oder einer Person, die über seine Ankunft in irgendeiner Form informiert ist. Jegliche Kommunikationsversuche werden von seinen wechselnden Gegenübern als Chiffren interpretiert. Der Versuch, sich dieses Prinzip selbst zunutze zu machen und Chiffren in den eigenen Äußerungen anzudeuten, endet zunächst mit dem Selbstmord eines Gesprächspartners, der die Andeutung als Entlarvung seiner Identität missverstanden hat.

Weitere Versuche, den Inhalt seiner eigenen Mission in Erfahrung zu bringen, die Schichten von Intrigen, Codes und Chiffren zu durchdringen oder überhaupt einen Sinn in den Handlungen des „Gebäude“-Personals zu finden, schlagen fehl. Unklar bleibt bis zum Ende die Existenz des „Anti-Gebäudes“ und selbst die einer Außenwelt jenseits des „Gebäudes“. Die Memoiren enden mit dem mutmaßlichen Selbstmord des Protagonisten: in einer Badewanne findet er die Leiche eines Selbstmörders, der er ein Rasiermesser zu entreißen versucht.[3]

Ausgaben

Erstausgabe: Memoiren, gefunden in der Badewanne. Übersetzt von Walter Tiel. Insel Verlag Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-458-05891-5

Neuauflage: Memoiren, gefunden in der Badewanne. Übersetzt von Walter Tiel. Vorwort übersetzt von Frank Staemmler. Suhrkamp Verlag Frankfurt, 1979, ISBN 978-3-518-37008-7

Einzelnachweise

  1. a b Stanisław Lem: Der Widerstand der Materie. Ausgewählte Briefe. Hrsg.: Robert Barkowski. 1. Auflage. Parthas Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-86601-475-6, S. 111 ff. 
  2. Memoiren, gefunden in der Badewanne. Lems Meinung. In: lem.pl. Estate of Stanislaw Lem, abgerufen am 3. Mai 2023 (deutsch). 
  3. Stanisław Lem: Memoiren, gefunden in der Badewanne. 1. Aufl., neue Ausg. Berlin 2013, ISBN 978-3-518-74327-0. 
Normdaten (Werk): GND: 108804915X (lobid, OGND, AKS) | VIAF: 311573641
Werke von Stanisław Lem

Science-Fiction-Werke: 1946 Człowiek z Marsa (dt. Der Mensch vom Mars, 1989) | 1951 Astronauci (dt. Der Planet des Todes / Die Astronauten, 1954) | 1955 Obłok Magellana (dt. Gast im Weltraum, 1956) | 1957 Dzienniki gwiazdowe (dt. Sterntagebücher, 1961) | 1959 Eden (dt. Eden, 1960) | 1961 Solaris (dt. Solaris, 1972) | 1961 Pamiętnik znaleziony w wannie (dt. Memoiren, gefunden in der Badewanne, 1974) | 1961 Powrót z gwiazd (dt. Transfer / Rückkehr von den Sternen, 1974) | 1964 Niezwyciężony (dt. Der Unbesiegbare, 1967) | 1964 Bajki robotów (dt. Robotermärchen, 1969) | 1965 Cyberiada (dt. Kyberiade, 1983) | 1968 Opowieści o pilocie Pirxie (dt. Pilot Pirx, 1978) | 1968 Głos Pana (dt. Die Stimme des Herrn, 1981) | 1969 Opowiadania (dt. Nacht und Schimmel, 1972) | 1971 Kongres futurologiczny (dt. Der futurologische Kongreß, 1974) | 1976 Maska (dt. Die Maske, 1978) | 1981 Golem XIV (dt. Also sprach Golem, 1984) | 1982 Wizja Lokalna (dt. Lokaltermin, 1985) | 1986 Pokój na ziemi (dt. Der Flop / Frieden auf Erden, 1986) | 1987 Fiasko (dt. Fiasko, 1986) |

Verschiedene: 1951 Jacht „Paradise” (Theaterstück, mit Roman Hussarski) | 1955 Szpital przemienienia (dt. Die Irrungen des Dr. Stefan T. / Das Hospital der Verklärung, 1959) | 1957 Dialogi (dt. Dialoge, 1980) | 1959 Śledztwo (dt. Die Untersuchung, 1975) | 1964 Summa technologiae (dt. Summa technologiae, 1976) | 1968 Filozofia przypadku (dt. Philosophie des Zufalls, 1983 / 1985) | 1968 Wysoki Zamek (dt. Das Hohe Schloß, 1974) | 1970 Fantastyka i futurologia (dt. Phantastik und Futurologie, 1977 / 1980) | 1971 Doskonała próżnia (dt. Die vollkommene Leere, 1973; Das absolute Vakuum, 1984) | 1973 Wielkość urojona, (dt. Imaginäre Größe, 1976) | 1976 Katar(dt. Der Schnupfen 1976) | 1978 Rozprawy i szkice, (dt.  aufgeteilt auf Sade und die Spieltheorie, 1986; Über außersinnliche Wahrnehmung, 1987; Science-fiction: ein hoffnungsloser Fall mit Ausnahmen, 1987) | 1980 Prowokacja, (dt. Provokation, 1981) | 1983 One Human Minute, (dt. Eine Minute der Menschheit, 1983) | 1983 Weapon Systems of the 21st Century or the Upside Down Evolution, (dt. Waffensysteme des 21. Jahrhunderts, 1983) | 1983 The World as Holocaust, (dt. Das Katastrophenprinzip, 1983) | 1992 Die Vergangenheit der Zukunft | 1996 Tajemnica chińskiego pokoju, (dt. Die Technologiefalle, 2000) | 1999 Bomba megabitowa, (dt. Die Megabit-Bombe, 2003) | 2000 Okamgnienie, (dt. Riskante Konzepte, 2001) | 2003 DyLEMaty | 2006 Rasa drapieżców – Teksty ostatnie | 2009 Sknocony kryminał (posthum) |

Verfilmungen: 1960 Der schweigende Stern | 1963 Ikarie XB 1 | 1968 Solaris | 1972 Solaris | 1974 Die Untersuchung | 1978 Testflug zum Saturn | 2002 Solaris | 2007/2011 Ijon Tichy: Raumpilot